Den ganzen Tag schuften, trübt den Verstand. Den ganzen Tag spielen, trübt den Verstand. Wir müssen das richtige Gleichgewicht finden. … Das Zwingende dieser Erwägung drängte sich mir schon vor langer Zeit in meinem eigenen Leben auf, und seit je habe ich nach einem solchen Ausgleich gesucht. … Es ist nicht gut, nur ein Interesse zu haben, dann fehlt einem die Perspektive für dieses besondere Interesse. Ein Jungbrunnen liegt in den Bäumen und in den Vögeln, im Wandern quer durchs Land, im Aufspüren der Gegenstände, die unsere Väter und Vorväter gebrauchten, und in einer Rekonstruktion des Lebens, das jene lebten. Manches verstanden die Alten in ihrer Lebensführung besser einzurichten als wir es tun; sie besaßen einen weit sichereren Geschmack. Aber nichts, was Wert hat, vergeht. Aus dieser Erwägung haben wir jetzt ein paar alte Wirtshäuser angekauft und stellen sie ihrer Zeitepoche entsprechend wieder her - eins in Massachusetts und ein zweites unfern Detroit. Diese alten Gasthäuser mit ihren schönen Tanzsäälen erinnern uns nachdrücklich, daß etwas aus unserem Leben entschwunden ist, und das ist der wirkliche Tanz. … Die altamerikanischen Tänze waren reinlich und gesund. In den Kontertänzen und den Rundtänzen lag Rhythmus und Grazie, die Leute kamen zusammen und lernten einander kennen. Die alten Tänze waren gesellig. Die modernen Tänze sind das nicht. Die gleichen Paare tanzen manchmal den ganzen Abend zusammen, aber die alten Tänze führten einem an einem Abend ein Dutzend Partner zu. Als junger Mensch tanzte ich gerne, aber die einzigen Tänze, die wir kannten, waren die heute als altmodisch bezeichneten - Schottisch, Polka, Polonaise, Quadrille. Heutzutage kennen die jüngeren Leute diese Tänze gar nicht mehr, und die älteren Leute - gerade jene, für die das Tanzen eine Notwendigkeit bedeuten würde - sind eingerostet. Sie halten sich für zu alt. Zum Tanzen ist man nie zu alt. In unserem neuen Laboratoriumsbau in Dearborn teilten wir eine Ecke ab, die einen Ballsaal ergibt, geräumig genug für siebzig Paare. Wir stellten ein Orchester zusammen. Aus Budapest ließen wir ein Cymbal kommen, ohne zu wissen, ob wir jemand auftreiben könnten, es zu spielen. Ein junger Ungar in unseren Werkstätten hörte davon und bat, darauf spielen zu dürfen. Er hat sich als ein echter Musikant erwiesen. Ferner haben wir ein Hackbrett - die Großmutter des Klaviers - das gleich dem Cymbal mit kleinen Hämmerchen gespielt wird, und selbstverständlich fehlen auch nicht Violine und Sousaphone. Wir stöberten alle alten Musikstücke auf, die wir finden konnten, und ließen sie neu drucken. Aber ein großer Teil jener Melodien lebt nur noch in den Köpfen der ergrauten Fiedler, die bei den ländlichen Tanzfesten aufspielten. Wir machten uns auf die Jagd nach Fiedlern und haben bereits vierzig oder fünfzig aus allen Landesteilen zusammengetrommelt, die für uns spielen, nicht so sehr ihres Spieles wegen, sondern um die alten Volksweisen zu sammeln. Wir haben bereits eine ganze Bibliothek alter Tanzmusik, und Mr. Edison und die Victor-Leute haben schon einige Stücke für den Phonographen aufgenommen. Es ist ein prächtiger Anblick, wie diese alten Fiedler bei ihrer Musik zu neuem Leben erwachen. Vor über dreißig Jahren spielten draußen in der Botsford Taverne bei den fast jede Woche stattfindenden Tanzvergnügen eine Anzahl Musikanten, die als erstklassig galten. Wir machten uns auch nach diesen auf die Suche. Durch den ersten trieben wir den zweiten auf, bis wir endlich sämtliche Mitglieder des alten Orchesters zusammen hatten und eine Gesellschaft veranstalten konnten. Es wurde ein großartiges Fest! Die alten Leute spielten zwei Stunden und vergaßen, daß sie alt waren. In ihrer Musik lag etwas, das den jüngeren Musikanten - die wahrscheinlich die beseren Spieler sind - zu fehlen scheint, obendrein waren sie mit Herz und Seele bei der Sache. Unser ältester Fiedler - er war fünfundachtzig - spielte auf und tanzte sogar dazu. Das Tanzen bereitet uns allen ein riesiges Vergnügen. Unsere Tanzzirkel finden regelmäßig an zwei Abenden in der Woche statt. Jeder muß lernen, in genau korrekter Weise zu tanzen, denn mit das Beste an den alten Tänzen ist der Anstand. Es ist verpönt, als Aufforderung zum Tanz zwei Finger zu heben; es gibt auch kein Sicheindrängen. Die Damen betreten den Saal nie unbegleitet und müssen eine Kleinigkeit vor den Herren gehen. Niemand schreitet quer durch den Ballsaal. Die genauen Anweisungen sind in einem kleinen Handbuche niedergelegt. Niemand widerstrebt dieser Förmlichkeit; im Gegenteil, man begrüßt sie als Abwechslung von dem Sichgehenlassen, das so häufig in Unhöflichkeit ausartet. Wir haben den Beweis geführt, daß Leute, wenn sie die Wahl haben, die melodienreiche Rhythmik dieser alten Tänze der unmelodischen Musik mit ihrem scheußlichen Herumhopsen vorziehen. Unser Repertoire umfaßt vierzehn Tänze: Two-Step, Rheinländer, Walzer, Schottisch, Polka, The Ripple, Menuett, Lanciers, Quadrille, Mazurka usw. mit ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit von Kombinationen. Diese Tänze müssen wirklich getanzt werden! Da gibt es keine improvisierten Schritte. Wir führen nicht, wie vielfach angenommen wird, einen Kreuzzug gegen moderne Tänze. Wir tanzen lediglich in der Art, die uns das größte Vergnügen gewährt. Das scheint eine recht populäre Art zu sein, da eine ganze Anzahl uns Fernstehender um Unterricht im Tanzen gebeten hat. Und wir erfüllen diese Bitte, soweit es irgend anging. Die englische Fassung des Buches Today and Tomorrow wurde wieder aufgelegt, und sollte mehr gelesen werden. Denn Henry Ford hatte außer Square Dance noch weitere seltsame Ideen. Er meinte, eine Firma für die Massen-Produktion von Automobilen könne nur erfolgreich sein, wenn die dort Beschäftigten so bezahlt werden, daß sie ihr eigenes Produkt auch kaufen können. Wenn ihm die Konkurrenz entgegenhielt, daß er gute Löhne zahlen könne, weil seine Leute gut arbeiteten, entgegnete er: Nein; sie arbeiten gut, weil sie gut bezahlt werden. Andererseit hegte er tiefes Mißtrauen gegen die Börse und gegen das, was heute als Shareholder Value gepriesen wird. Meine eigenen Ansichten zu diesem Thema findet ihr in den Thesen zur Marktwirtschaft Nachdem Henry Ford zunächst eine Ecke abteilen ließ, baute er bei der nächsten Erweiterung einen prächtigen Ballsaal ein, den er zu Ehren seines Tanzmeisters Benjamin Lovett benannte, und der im Henry Ford Museumsdorf Greenfield Village noch erhalten ist. Dort gab es mehr als 20 Jahre lang eine monatliche Contra Dance Veranstaltung mit Glen & Judy Morningstar und der Ruffwater String Band. Aber im November 2004 wurde dies Knall auf Fall gekündigt. Wer Lovett Hall jetzt benutzen will, muß 600 $ Miete zahlen und für 4000 $ Speisen und Getränke verzehren. Hier findet ihr mehr über Lovett Hall und die letzte Contra Dance Veranstaltung dort. (Die Bilder laden etwas langsam, sind aber sehenswert.) Bei Henry Fords Tanzveranstaltungen ging es sehr gesittet zu - siehe Traditionelle Square Dance Kleidung ![]()
Veröffentlicht 2003-09-18 / ergänzt 2004-01-17 & 2005-02-27 / vorerst letzte Ergänzung 2007-07-07 / Heiner Fischle, Hannover |